F. William Engdahl
Die Eurozone: Mit Vollgas in die Sackgasse
Es ist schon erstaunlich, dass der Euro und die Eurozone so lange durchgehalten haben. Griechenland hätte 2010 eigentlich aussteigen müssen, aber mit außergewöhnlichen Handlungen haben die Regierungen der Euroländer und die Europäische Zentralbank diesen Schritt abwenden können. Inzwischen holen diese Handlungen die damaligen Akteure aber wieder ein, allen voran Deutschland, das auf dem besten Wege ist, zum »Sugardaddy« der völlig überschuldeten südeuropäischen Länder wie Italien und Spanien zu werden.
Das ist einer der zentralen Gründe dafür, dass die Brüssel-feindlichen Parteien, die bei den jüngsten italienischen Wahlen triumphierten (die Fünf-Sterne-Bewegung und die Lega Nord), auf einmal nicht mehr davon sprechen, den Euro verlassen zu wollen. Sie setzen darauf, dass Macron und Merkel mit ihren Vorschlägen für eine neue Struktur der EU Italiens (Schulden-) Kastanien aus dem Feuer holen werden und dass letztlich der deutsche Steuerzahler die Zeche dafür bezahlen wird. Es ist eine Zeitbombe, und ihr Ticken wird lauter und lauter.
Über zehn Jahre sind vergangen, seit 2007 in den USA die Immobilienblase platzte und die größte Kernschmelze der Finanzgeschichte verursachte. Der Euro und die 19 Zentralbanken der Euro Mitgliedstaaten sind inzwischen an einem gefährlichen Scheideweg angelangt. In ihrer Rede vor dem Bundestag machte Kanzlerin Merkel unlängst deutlich, dass sie Deutschland in eine Art »Transferunion« führen will – jedenfalls, wenn es nach ihrem Willen und dem von Macron geht.
Auf gut Deutsch gesagt, würde das bedeuten, dass Deutschland und die anderen nordeuropäischen Volkswirtschaften mit starkem Handelsüberschuss (beispielsweise die Niederlande) hunderte Milliarden Euro »transferieren« müssten, um die defizitär arbeitenden südeuropäischen Länder wie etwa Italien und Spanien zu subventionieren. Gewinner dieses Vorgehens wären letztlich die angeschlagenen Banken Frankreichs und der südlichen Eurozone.
Die Falle namens Target 2
Nach der manipulierten griechischen Anleihekrise, die an den Märkten Panik auslöste, weil man fürchtete, sie könne um sich greifen, rief die Europäische Zentralbank »Target II« ins Leben – ein heftig umstrittenes und nur von wenigen verstandenes Programm, das eine verkappte Finanzspritze darstellt.
Die Details dieses Zahlungsverkehrssystems sind sehr komplex, deshalb an dieser Stelle nur so viel zur Funktionsweise: Target II erlaubt es den Zentralbanken der krisengeplagten Euroländer – allen voran Italien und Spanien – Staatsanleihen auszugeben, die dann von starken Euro-Zentralbanken aufgekauft werden, allen voran die Deutsche Bundesbank. Seit 2011 und der Griechenland-Krise sind die Salden explodiert, Schätzungen zufolge belaufen sich allein die Forderungen der Deutschen Bundesbank aktuell auf 914 Milliarden Euro.
Als »verdeckten Bailout der EZB« bezeichnete 2011 der hoch angesehene Ökonom Hans-Werner Sinn, damals Leiter des Münchner IFO-Instituts, Target II. Als Erster warnte er davor, dass Salden im Rahmen des Target-II-Systems der EZB genauso einen Kredit darstellten wie Darlehen, die im Rahmen offizieller Rettungspakete vergeben werden. Im Jahr 2011 sprach man von Summen, die nur einen Bruchteil dessen ausmachten, worum es heute geht. Die Salden der Target-II Zentralbankgeschäfte in der Eurozone werden öffentlich kaum zur Kenntnis genommen, aber allein durch ihren gewaltigen Umfang setzen sie die finanziell zurückhaltenderen nordeuropäischen Länder und insbesondere Deutschland unter Druck, endlich ihren Widerstand gegen den Vorschlag von George Soros aufzugeben. Soros tritt dafür ein, dass die Eurostaaten gemeinsam Anleihen ausgeben.
Das würde bedeuten, dass die Staatsschulden der Euroländer alle in einem Topf landen und in »Eurobonds« der Eurozone mit gemeinsamer Verantwortung getragen würden. De facto bedeutete dies, dass die Steuerzahler in Deutschland und anderen nordeuropäischen Ländern die Schulden kriselnder Nationen wie Italien, Portugal oder Griechenland mittragen würden. Aus sehr guten Gründen heraus sperrte sich der ehemalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble vehement dagegen, übernationale Schatzbriefe auszugeben.
Über den verdeckten Bail-out, den die EZB unter Mario Draghi in Form des nur wenig verstandenen Mechanismus der Target-II-Darlehen durchführt, schreibt Sinn: »Und dennoch sind die Target Forderungen der Bundesbank (oder der italienischen, spanischen und anderen Banken) letztlich wertlos, denn sie lassen sich nie einfordern. Ausgegeben werden sie zudem zu einem Zinssatz, den die Schuldner, die die Mehrheit der Stimmen im EZB-Rat besitzen, festlegen. Aktuell haben sie diesen Zinssatz auf Null festgelegt.« Und wir sprechen allein für die deutsche Bundesbank über 914 Milliarden Euro, die als zinsloses Darlehen vergeben wurden!
Merkel, die SPD und Eurobonds
Jetzt wird auch deutlich, warum Merkel ihren ehemaligen Finanzminister Schäuble so elegant weglobte und ihn zum Präsidenten des Bundestags küren ließ. Sein Nachfolger ist der Sozialdemokrat Olaf Schulz, von dem es heißt, er befürworte Macrons Vorschlag für eine europäische Banken- und Transferunion. Als Merkel im März ihre erste Rede als Kanzlerin in der neuen großen Koalition hielt, sprach sie sich dafür aus, den 500 Milliarden Euro schweren Europäischen Stabilitätsmechanismus – den Rettungsfonds also, mit dem die Eurozone seit 2013 arbeitet – in einen dauerhaften Europäischen Währungsfonds umzuwandeln, eine EU-Version des Internationalen Währungsfonds in Washington.
In einer Transferunion würden gesündere Länder der Eurozone schwächere unterstützen. Das steckt hinter der Forderung des französischen Präsidenten, einen Euro Finanzminister zu berufen, der dann einen gemeinsamen Steuerhaushalt für die Eurozonenländer entwerfen würde. Der Macron-Plan – den Merkel und die SPD abgesegnet haben – sieht vor, dass jeder Euro, der von einem nordeuropäischen in ein südeuropäisches Land fließt, gegen die Target Forderungen und -Verpflichtungen verrechnet wird.
Hinter all diesen Plänen steckt ein großes Problem: Die EZB und die Euro-Länder haben keine grundlegenden Anstrengungen unternommen, um die Gefahr von Bankeninsolvenzen aus der Welt zu schaffen. Deshalb setzte die EZB unter Draghi durch, dass die Deutsche Bundesbank und andere Zentralbanken über Target II verdeckte Kapitalspritzen geben. Das Resultat ist ein Problem, das im Grunde nicht mehr zu lösen ist.
Jetzt ist die Merkel-Macron-Achse bereit für den nächsten Schritt: Eurobonds, einen gemeinsamen Eurozonen-Finanzminister sowie eine Fiskal- und Transferunion. Das ist der wahre Grund, weshalb Italiens »euroskeptische« Parteien plötzlich die Forderungen nach einer Volksabstimmung zum Verbleib im Euro und in der EU fallen ließen. Ihnen wurde bewusst, dass Italien enorm davon profitieren könnte, dabeizubleiben und sich für eine EU-Transferunion stark zu machen. Für Anleihespekulanten wie Soros wird es ein Fest. Die Zeche werden Deutschland, die Niederlande und andere finanziell konservativere Nationen bezahlen. In Deutschland macht sich bereits bemerkbar, dass die Zahl der arbeitenden Menschen sinkt und in den kommenden Jahren immer rascher sinken wird. Die wachsenden Rentenverpflichtungen sorgen dafür, dass Deutschlands Schuldenverpflichtungen auf lange Sicht nicht tragbar sind. Wenn man Deutschland nun noch in eine Transferunion einbindet, bei der deutsches Geld in die verschuldeten EU-Staaten fließt, droht ein wirtschaftlicher Tsunami.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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